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Das Up-Or-Out-System in Unternehmensberatungen

Veröffentlicht am 10. März 2012
Geschrieben von Dagmar Recklies

Unternehmensberatungen, ebenso wie Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, stehen nach wie vor in dem Ruf, in ihrer Personalpolitik ein knallhartes Up-or-out – System zu verfolgen. Das bedeutet, die guten Mitarbeiter steigen auf und werden weiter gefördert; wer das nicht schafft wird früher oder später gehen. Eine solche Personalstrategie klingt etwas nach Frühkapitalismus und gnadenlosem Leistungsdruck. 

Andererseits kenne ich keine Unternehmensberatung, die das Up-or-Out System offen als Methode der Personalentwicklung und –planung benennt. Die Wahrheit liegt m.E. irgendwo zwischen dem beschriebenen Ruf der Branche und dem kommunizierten Anspruch, allen Mitarbeitern eine interessante Karriereperspektive zu bieten.

Das Up-or-out System sollte nicht als Erfindung geldgieriger Berater verstanden werden, die aus ihren Mitarbeitern Höchstleistungen herauspressen wollen. Vielmehr ist es eine natürliche Begleiterscheinung des Tätigkeitsbildes von Unternehmensberatungen. Auch wenn keine Consulting explizit ein Up-or-out System verfolgt, tritt es in gewisser Weise weiterhin in Erscheinung. Dafür sprechen die hohen Fluktuationsraten bei Beratungsgesellschaften, die wiederum zu intensiven Recruiting-Maßnahmen und permanent hohen Zahlen bei Neueinstellungen sorgen.

Hier kommen mehrere Aspekte zum Tragen:

Up or Out: Warum "up" oft gar nicht das Ziel ist

Dem Bild vom Berater in einem renommierten Consulting-House haftet immer noch etwas Glamouröses an. Viele BWL-Absolventen wählen diesen Berufsweg in der Hoffnung auf eine schnelle Karriere und gute Verdienste. Allerdings ist mit einem Beraterjob harte Arbeit verbunden – beinahe 100 % Reisetätigkeit in ganz Deutschland oder auch in der ganzen Welt, unregelmäßige Arbeitszeiten - manchmal bis spät in die Nacht, Stress und Hektik.

Viele Berater sehen diese Tätigkeit daher ohnehin nur als Zwischenstufe, sozusagen als Durchlauferhitzer für die Karriere. Sie verbleiben oft nur für einige Jahre in dem Beratungsunternehmen.

Als Berater lernt man zahlreiche Unternehmen und insbesondere auch die Geschäftsleitungen kennen. Wenn da die „Chemie stimmt" ergibt sich häufig die Chance, in ein solches Unternehmen auf eine lukrative Position zu wechseln. Selbst wer nicht direkt bei einem Mandanten unterkommt, hat seinen Arbeitsmarktwert durch eine mehrjährige Tätigkeit für eine Top-Consulting im Lebenslauf erheblich gesteigert und wird kaum Schwierigkeiten bei der Suche nach einer neuen Aufgabe haben.

In der Zeit des Dot-Com-Hypes wurde dieser Trend noch dadurch verstärkt, dass viele Berater von der New Economy angezogen wurden. Mit ihren Erfahrungen und Kontakten waren sie gefragte Partner, Vorstände und Mitgründer für alle Arten von E-Startups.

In aller Regel reagieren die Beratungsgesellschaften auf diese Art natürlicher Fluktuation gelassen. Wenn man sich in Frieden und Freundschaft von einem scheidenden Mitarbeiter trennt, stehen die Chancen gut, dass dieser in seiner neuen Position dem ehemaligen Arbeitgeber verbunden bleibt. In leitender Position in einem Unternehmen kann ein solcher Kontakt zu einer wichtigen Quelle späterer Beratungsaufträge werden. Selbst wenn der ehemalige Mitarbeiter nach dem Scheitern des einst hoffnungsvollen E-Startups zu seinem früheren Arbeitgeber zurückkehren möchte, so hat er doch nicht nur wertlose Aktienoptionen in den Händen, sondern auch wertvolle Erfahrungen und Kontakte gesammelt.

Die hohe Fluktuationsrate, die jedem Mitarbeiter einer Beratungsfirma von Anfang an bekannt ist, ermöglicht es den Unternehmen auch, in ihren Beförderungsprozessen ausgesprochen wählerisch zu sein. Nicht zuletzt ist diese Strategie, nur die allerbesten im Unternehmen zu behalten, verantwortliche für das hohe Ansehen des Berufsstandes  (das er trotz spektakulärer Flops immer noch genießt). Positiver Nebeneffekt ist, dass in der Phase der Personalauswahl und –einstellung noch nicht vorrangig auf die Eignung der Kandidaten für spätere Führungsaufgaben geachtet werden muss. Dieser Teil des Auswahlprozesses erfolgt „on the job".

Auf diese Weise relativiert sich das Bild des „Out" bereits deutlich. Out bedeutet nicht notwendig, dass unfähige Mitarbeiter gnadenlos gefeuert werden. Viele Berater entscheiden sich freiwillig und bewusst gegen ein „Up" in der Beratungsfirma und verlassen diese nicht aus Mangel an Perspektiven bei ihrem Arbeitgeber, sondern um andere Chancen zu verfolgen.

Up or Out als Grundlage für das Funktionieren einer Beratungsgesellschaft

Des weiteren ist diese ständige Bewegung in der Personalstruktur – einige Mitarbeiter steigen auf, andere verlassen das Unternehmen und ständig werden neue Berater nachrekrutiert – eine entscheidende Voraussetzung für das effektive Funktionieren des Geschäftsmodells einer Beratungsgesellschaft.

Unabhängig von den konkreten Hierarchieebenen einzelner Beratungsgesellschaften ist folgende Struktur typisch:

 

Up or out in der Unternehmensberatung - Hierarchieebenen und Tätigkeiten
Up or Out: Hierarchieebenen und Tätigkeiten in der Unternehmensberatung

 

Die Mehrzahl der Beratungsprojekte beinhaltet Tätigkeiten und Arbeitsschritte, die von früheren Projekten bekannt sind und lediglich kundenindividuell modifiziert, weiterentwickelt und angepasst werden. Dies sind typische Aufgaben für Junior-Mitarbeiter. Je nach Projekttypen und dem darin enthaltenen Anteil and „Standardtätigkeiten" benötigen die Beratungsunternehmen also eine starke Basis an Junior-Mitarbeitern mit entsprechendem Gehaltsniveau. Es wäre uneffektiv, solche Tätigkeiten an qualifizierte und hoch bezahlte Manager zu vergeben.

Durch die Einbindung von erfahrenen Managern und Partnern in die Projektteams werden jedoch Synergien erzeugt, durch die für den Kunden letztlich der Mehrwert entsteht, den er in Form einheitlich hoher Stundensätze auch bezahlt. Eine optimierte Struktur der Projektteams ist damit die Voraussetzung für eine effektive und wirtschaftliche Tätigkeit der Beratungsgesellschaft. Diese ist jedoch nur gewährleistet, wenn im Gesamtunternehmen ein entsprechendes Verhältnis von Mitarbeitern auf Junior-, Manager- und Senior-Niveau besteht. Würde man jedem Junior die Möglichkeit des Aufstiegs zum Manager und Senior geben, geräte dieses Gleichgewicht unweigerlich außer Balance.

Im Hinblick darauf werden Unternehmensberatungen auch weiterhin mehr junge Berater einstellen, als sie letztlich zu Partnern machen wollen. Dass sie dabei versuchen, die besten Mitarbeiter im Unternehmen zu halten ist nur verständlich.

Up or Out - Heute kein Entweder-Oder mehr

Trotz all dieser Überlegungen ist das Up-or-out System der Beratungsbranche nicht als rigorose Entweder-Oder-Lösung zu verstehen. Gerade in den letzten Jahren hat sich der Wettbewerb um die besten Köpfe deutlich verschärft. Daher ist es nicht im Interesse der Beratungsgesellschaften, gute Mitarbeiter ziehen zu lassen, nur weil diese trotz exzellenter Fachkenntnisse keine Managertypen sind oder dies einfach nicht anstreben. Auch in dieser Branche setzt sich die Erkenntnis durch, dass Karriere nicht unbedingt ein Aufstieg entlang vorgezeichneter Hierarchiestufen sein muss. Daher bemühen sich die Beratungen zunehmend, wirklich individuelle Entwicklungspläne mit den Mitarbeitern aufzustellen, Nischen zu schaffen und alternative Arbeitsmodelle zu entwickeln. Inwieweit daraus jedoch ein so breiter Trend wird, dass die beschriebenen grundlegenden Funktionsweisen der Branche abgelöst werden, bleibt abzuwarten.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass das der Branche innewohnende Up-or-out System nicht allein als knallharter Ausleseprozess verstanden werden darf. Wie in jeder anderen Branche auch ist eine optimale Relation zwischen Fach- und Führungskräften ausschlaggebend für eine erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit. Die Mitarbeiter erhalten als Ausgleich für unsichere Aufstiegschancen und einen harten Arbeitsalltag neben ausgezeichneten Gehältern auch eine erhebliche Steigerung ihres Arbeitsplatzwertes. Diese ergibt sich aus den Erfahrungen in der Arbeit für oft namhafte Mandanten und dem Image, für eine renommierte Beratungsfirma gearbeitet zu haben. Insofern dürften sich die meisten Mitarbeiter, die nicht den „Up"-Weg beschreiten nicht unbedingt als Verliere dieses Systems sehen. Für sie erweist sich einfach eine andere Alternative als geeigneter.

© Dagmar Recklies, Juli 2001

 

Literaturhinweis:

Eine exzellente Beschreibung der Strukturen und Arbeitsweisen einer Beratungsgesellschaft gibt David H. Maister mit seinem Beitrag „Balancing the Professional Services Firm", erschienen in

-          Sloan Management Review, Herbst 1982 und

-          Mintzberg, Quinn & Ghoshal „The Strategy Process", Prentice Hall, 1999.

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