Langfristige Investitionen vs. Erfolgsdruck der Finanzmärkte: Behindert der Shareholder Value wichtige Transformationen?
Die Welt der Finanzen und Investitionen steht vor einem ständigen Spannungsfeld zwischen langfristigen strategischen Entscheidungen und dem kurzfristigen Druck der Finanzmärkte.
In diesem Kontext spielt der Shareholder Value eine entscheidende Rolle, da er die Prioritäten von Unternehmen beeinflusst und oft im Fokus von Investoren steht. Doch angesichts des Strukturwandels und der Energie- beziehungsweise Klimakrise beklagen Ökonomen und Unternehmer zunehmend, dass dieses Streben nach kurzfristigem Erfolg wichtige langfristige Transformationen behindern könnte.
Wir werfen daher einen Blick auf das Prinzip des Shareholder Values und diskutieren die Herausforderungen der Kapitalbeschaffung im Spannungsfeld kurzfristiger Gewinnerwartungen und langfristiger Investitionsstrategien.
Shareholder Value als Leitprinzip
Der Shareholder Value, zu Deutsch Aktionärswert, ist ein zentrales Konzept in der modernen Unternehmensführung. Er postuliert, dass Unternehmen vor allem dazu verpflichtet sind, den Wert für ihre Aktionäre (oder andere Anteilseigner) zu maximieren. Dies geschieht typischerweise durch die kurzfristige Gewinnmaximierung, jährliche Gewinnbeteiligungen wie Dividendenausschüttungen oder auch Aktienrückkäufe, die den Kurs der Unternehmensaktie anheben sollen. Diese, oft erzwungene, Fokussierung auf kurzfristige Renditen kann jedoch langfristige Investitionen und nachhaltige Entwicklungen behindern beziehungsweise die Kapitalbeschaffung für die nötigen Ausgaben erschweren.
Die Logik der Finanzmärkte
Die Finanzmärkte sind von Natur aus kurzfristig orientiert und reagieren sensibel auf Quartalszahlen, Gewinnprognosen und kurzfristige Ereignisse. Diese Logik beeinflusst wiederum das Verhalten von Unternehmen, Investoren und anderen Marktteilnehmern. Eigentlich sollte insbesondere der Aktienmarkt eine Möglichkeit für Unternehmen darstellen, sich mit Kapital zu versorgen, um große Investitionen stemmen zu können. Der historische Ursprung dieser Unternehmensform liegt im Überseehandel.
Um im frühneuzeitlichen Welthandel unternehmerisch erfolgreich sein zu können, waren unglaublich hohe Investitionen in den Bau von Schiffen erforderlich. Zusätzlich bestand das Risiko einer erfolglosen Expedition oder sogar des Untergangs eines oder mehrerer Schiffe. Im größeren Stil konnten solche Unternehmungen daher nur von vielen Eigentümern beziehungsweise Geldgebern gemeinsam getragen werden und die Aktiengesellschaft wurde erfunden, um diese Eigentumsstruktur abzubilden.
Doch die Dynamik der Ausgabe von Unternehmensaktien begann sich schon bald von der mittel- oder langfristigen Kapitalbeschaffung für Unternehmen und Investitionsprojekte weg und zum Handel mit den Anteilsscheinen hin zu verschieben. Nach und nach verloren bekannte Trader und Investoren das Interesse am Zweck der Kapitalbeschaffung und begannen sich stattdessen für aktuelle Kurse, Kursentwicklungen und Gewinnausschüttungen zu interessieren.
Zunächst standen für diese Art der Geldanlage nur sehr wenige Aktiengesellschaften zur Verfügung, doch mit der Ausweitung dieser Unternehmensform trat auch die Konkurrenz um die attraktivsten Dividenden und der Fokus auf eher kurzfristige Trends der Aktienkurse in den Vordergrund der Logik der Kapitalanleger. Das Spannungsfeld zwischen langfristigen Investitionen und der Notwendigkeit der Kapitalbeschaffung begann sich herauszubilden.
Die Herausforderung der Langfristigkeit
Langfristige Investitionen erfordern Zeit und Geduld. Unternehmen müssen in Forschung und Entwicklung, Mitarbeiterentwicklung und nachhaltige Praktiken investieren, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Druck der Finanzmärkte, Quartalsberichte zu erfüllen und kurzfristige Gewinnziele zu erreichen, kann allerdings dazu führen, dass Unternehmen diese notwendigen, aber erst langfristig profitablen Investitionen vernachlässigen.
Beispiele aus der Praxis
Beispiele aus verschiedenen Branchen zeigen, wie der Shareholder Value langfristige Transformationsprozesse behindern kann. Unternehmen, die ihre kurzfristigen Gewinnziele über alles stellen, neigen dazu, auf Kosteneinsparungen durch Entlassungen zu setzen, anstatt in Innovationen und nachhaltige Praktiken zu investieren. Dies kann langfristig zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Markenwert führen, wird aber am Finanzmarkt zunächst honoriert.
Besonders betroffen sind Unternehmen, die ihre Produktion auf erneuerbare Energien umstellen möchten und hierzu teilweise in Technologien investieren müssen, deren Profitabilität heute noch gar nicht wirklich zu beurteilen ist. Zudem bekommen Unternehmen, die mit einem hohen Risiko arbeiten müssen, wie Pharmakonzerne oder Technologieführer, die sich Forschungen mit unklaren Perspektiven leisten müssen, um auch in Zukunft am Markt bestehen zu können, den Fokus auf einen Zeithorizont von wenigen Monaten bis hin zu wenigen Jahren besonders stark zu spüren.
Unternehmen in Privatbesitz im Vorteil?
Private Unternehmensformen wie Familienunternehmen könnten sich hier also im Vorteil gegenüber Aktiengesellschaften oder Unternehmen mit mehreren Eigentümern befinden. Sie verfügen oft über ein langfristiges und solides Geschäftsmodell und eine Unternehmensführung, die sich eher dieser Geschichte und den Werten des Unternehmens als der Wertmaximierung verpflichtet fühlen. Doch sobald sie Kapital für große Investitionsprojekte benötigen, stehen sie im Prinzip vor dem gleichen Problem wie die großen Aktienkonzerne.
Sie müssen sich entscheiden, ob sie Eigenkapital aus den Rücklagen, einer Kapitalerhöhung oder der Veräußerung von Firmenanteilen requirieren oder auf Fremdkapital wie Schulden und Anleihen setzen wollen. Mit der Ausnahme der Finanzierung aus vorangegangenen Gewinnen, also einer Kapitalerhöhung aus Eigenmitteln, stehen sie vor den gleichen Problemen und Herausforderungen wie Konzerne und Kapitalgesellschaften und müssen sich im gleichen Marktumfeld um Geldgeber und Investoren bemühen.
Rücklagen und eine Betriebsführung mit langfristiger Ausrichtung könnten sie für die anstehende Investitionswelle in Klimaschutz und Energieeffizienz jedoch besser in Stellung bringen, als viele Kapitalgesellschaften, die in den letzten Jahren sparen mussten und einen Großteil ihrer Gewinne an die Eigentümer auszahlen müssen.
Die Rolle der Stakeholder und die Notwendigkeit eines Gleichgewichts
Eine politisch und wirtschaftlich sinnvolle Diskussion über die Auswirkungen des Shareholder Value muss auch die Rolle anderer Stakeholder wie Mitarbeiter, Kunden und die Gesellschaft im Allgemeinen berücksichtigen. Unternehmen, die ein Gleichgewicht zwischen den Interessen ihrer Aktionäre und anderen Anspruchsgruppen finden, können langfristige Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen – benötigen aber bereits im Hier und Jetzt Anreize, damit sie sich auch wirklich in diesem Sinne aufstellen.
Fazit
In der Debatte um langfristige Investitionen versus den Erfolgsdruck der Finanzmärkte steht der Shareholder Value im Mittelpunkt. Der vorherrschende Fokus auf kurzfristige Renditen scheint derzeit notwendige Transformationen zu behindern und sollte daher durch andere Ausrichtungen zumindest ergänzt werden. Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zu finden, das den Interessen der Aktionäre gerecht wird, aber auch die langfristige Vision, die Umwelt und die sozialen Bedürfnisse berücksichtigt. Unternehmen, die dieses Gleichgewicht finden, können langfristigen Erfolg und gesellschaftliche Verantwortung miteinander verbinden.
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Bildquelle: https://unsplash.com/de/fotos/frau-im-weissen-langarmhemd-mit-schwarzem-laptop-aL2rxQh
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